Das grosse Zittern um Märklin
Das grosse Zittern um Märklin
Zuerst stellte die Firma Märklin Puppenküchen her. 150 Jahre später ist sie der Inbegriff des Glücks für jeden Modelleisenbahner. Doch das Traditionsunternehmen ist pleite. Ein Besuch am Krankenbett in Göppingen (D).
Es war die Langeweile, die mich an regenerischen Sonntagen in den Dachstock unseres Hauses trieb. Zu Vater und Bruder, die sich dort, inmitten von Trans-formern und Weichenkästchen eingerichtet hatten und eine Sprache sprachen, die das kleine Mädchen nicht verstand.“Die Ae6/6 kannst du nicht aufs 2 reinlassen, dort habe ich schon die Re4/4.“ Doch ich brauche nicht zu verstehen. Ich sah nur etwas. Diese kleine Welt bewaldeter Hügel, glitzernder Bergseen und schmucke Häuser. Was die Menschen hier wohl machten, wenn sie nicht gerade Zug fuhren? Zack, da ging das Deckenlicht an. Vorbei die Phantasterei, vorbei auch die Männerspielstunde. „Schluss für heute“, sagte Vater, die Züge wurden ins Depot befördert und die Lämpchen der kleinen Welt im Massstab 1:87 gelöscht.
Und jetzt, Jahrzehnte später, das: “Mit Beschluss des Amtsgerichts Göppingen ist heute, 4.2.2009, über das Vermögen der Gebr. Märklin & Cie. GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet worden.“
Das Telefon bei der Firma Märklin läutet lange. Die Stimme, die sich endlich meldet, verweist an die Pressebeauftragte des Insolvenzverwalters. Diese schreibt per E-Mail: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir derzeit keine Journalisten empfangen. Das Unternehmen b efindet sich in einer schwierigen Lage, da knapp 400 Kündigungen ausgesprochen wurden. Was wir anbieten können: eine geführte Besichtigung des Märklin-Museums in Göppingen.“ Wir nehmen an.
Auf Spurensuche | “Märklin?“ ruft der Hotelier und schüttelt seine Hand, als hätte er sie verbrannt. “Schlecht! Keine Löhne im Januar, dafür eine Menge Entlassungen.“ Später beim Fabrikgebäude finden wir die Pforte geschlossen. Ab und zu verlassen ein paar Mitarbeiter das Gebäude. Rund 500 sind hier noch beschäftigt, vor 40 Jahren waren es 2200. Einer überquert die Strasse und geht zur Bushalte-stelle. “Alles ist gut“, sagt er, ein Türke. Er habe Angst gehabt, seine Stelle zu verlieren. Doch es habe ihn nicht getroffen. “Aber du weisst nie, was morgen ist.“
Es war 1859, als Theodor Friedrich Wilhelm Märklin das Unternehmen gründete. Zuerst wurde Zubehör für Puppenküchen fabriziert. 1888 übernahmen Märklins Söhne als “Gebrüder Märklin“ die Firma. Drei Jahre später stellte Märklin das erste Bahnmodell vor, eine Lokomotive mit Uhrwerkantrieb. In der Folge gelang es der Firma, die Gleissysteme zu vereinheitlichen, so dass sich einzelne Teile verschiedener Modellbahnen kombinieren liessen. Das Angebot wuchs, Dampfmaschinen kamen hinzu, Autos, Flugzeuge, Metallbaukästen und 1926 die erste elektrische Modellbahn mit 20 V Wechselstrom. Mitte der 30er Jahre präsentierte Märklin eine Tischeisenbahn mit der Spurweite 00 – heute H0 – im Massstab 1:87. Die Absatzzahlen stiegen, die Firma wurde weltweit zum grössten Anbieter der Modelleisenbahnbranche. 1972 kam die kleinste Spur Z hinzu, 1984 die digitale Mehrzugsteuerung, 1997 die Firma Trix aus Nürnberg. Dann ging es bergab. Die Umsätze sanken, nicht zuletzt, weil der Computer in den Kinderzimmern Einzug hielt, und die Firma wurde 2006 von den Familiengesellschaftern verkauft. Der britische Finanzinvestor Kingsbridge Capital übernahm, doch die Manager gaben sich die Klinke in die Hand und drei Jahre später kam das Aus.
Papa Märklin| Eine wichtige Auskunftsperson ist Roland Gaugele, während 25 Jahren Pressesprecher. Er wurde entlassen. Er habe kaum Zeit, sagt dieser am Telefon, seither werde er von Anrufen überhäuft. Am Abend werde er vom Klub der “Privaten Modellbahner in Nattheim“ zum Ehrenmitglied ernannt, als Ausdruck von Solidarität. “Wenn Sie möchten, dürfen Sie mich begleiten.“ Im Dachstock des alten Schulhauses erwartet uns eine Handvoll Männer, allen voran ihr “Kopf“, Fritz Giemulla. Bald hebt dieser zur Rede an, greift zu einer Urkunde: “Hiermit ernennen wir Herrn Roland Gaugele zu unserem 1. Ehrenmitglied.“ “Für die Modellbahn braucht es genau vier Dinge“, sagt einer der Freunde später. “Zeit, Geld, Platz und eine verständnisvolle Frau.“ Schallendes Gelächter. Eine Entspannung sei das Spielen, sagen die Männer, einer Erfüllung das Bauen. “Deshalb darf eine Modellbahn nie fertig sein.“
Am nächsten Morgen werden wir im Märklin-Museum begrüsst. Es ist kurz vor zehn Uhr, ein Mitarbeiter beginnt, die Züge der angrenzenden “Erlebniswelt“ zu starten. Das Gedränge im Museum ist gross, und wenn man dem bunten Treiben zuschaut, lässt einem nichts an Märklins Schwierigikeiten denken. Und auch der Tenor der Besucher ist eindeutig: “Natürlich geht es weiter!“, antworten die Gefragten, und einer sagt: “So, etwas Schönes kann doch gar nicht zu Ende sein.“
Und wie sehen es die Insolvenzverwalter? Auch da ist man zuversichtlich. “Das Unternehmen wird weitergeführt und verkauft.“ Nach einer ersten Runde gibt’s noch fünf Interessenten. “Wir suchen einen Käufer mit Herzblut. Zudem erwarten wir, dass er in der Lage ist, mindestens 100 Mio. Euro aufzubringen und langfristig dabei zu bleiben.“ Ginge es nur um das Herzblut, dann hätte bestimmt einer schon das Rennen gemacht: Der kleine Knabe, der sich letzthin bei Märklin meldete. Er bot sein gesamtes Taschengeld, um die Firma zu retten.“
Regula Tanner
Quelle: Touring 15, 3.September 2009
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Die Angst vor dem Verkauf nach China
Hag, Roco, Fleischmann und Bemo sind andere bekannte Modellbahnfirmen; sie sind nicht Pleite, aber das Schicksal von Märklin ist für sie letztlich ebenfalls wegweisend. Täglich werde er gefragt, wie es mit Märklin weitergehe, sagt Richard Steckler, Inhaber eines Berner Modellbahngeschäfts. Einige Kunden hätten aus angst vor dem drohenden Ende Hamsterkäufe getätigt. Doch Steckler ist überzeugt, dass es weitergeht. Die Frage ist nur wie. Seine grösste Befürchtung: “Dass die Firma nach China verkauft wird.“